Agrarwende: „Ohne gesunde Böden wächst nichts mehr“

16. Mai 2024 | Kommunalpolitik (BW), Landwirtschaft, BUND Baden-Württemberg (BW), Klimaschutz (BW), Lebensräume, Massentierhaltung, Umweltpolitik (BW), Flüsse & Gewässer, Flächenschutz (BW), Flächenverbrauch (BW)

BUND-Interviewreihe zur Kommunalwahl 2024: Agrarwende in den Kommunen Baden-Württembergs

Christoph Schramm Christoph Schramm, Referent für Landwirtschaft und Wald  (Frank Müller / BUND BW)

Am 9. Juni 2024 ist Kommunalwahl. Sie ist entscheidend für den Umwelt- und Naturschutz. Die gewählten Vertreter*innen können in den kommenden fünf Jahren viele Weichen stellen – auch für die Agrarwende. Denn um eine nachhaltige Landwirtschaft vor Ort zu stärken, haben die 1.101 Gemeinden im Land einige Stellschrauben, erklärt Christoph Schramm, Referent für Landwirtschaft des BUND Baden-Württemberg. Ein Gespräch über Mittel gegen das Höfesterben und welche Bedeutung die Kommunalwahl dafür hat:

Landwirt*innen sind seit Monaten auf den Barrikaden – unter anderem wegen zu viel Regulierung. Auf europäischer Ebene haben sie inzwischen Reduzierungen bei den Auflagen bewirkt. Sollten Kommunen die Landwirtschaft vor Ort nicht auch besser entlasten?

Christoph Schramm: Viele Vorgaben kommen von Europäischer Union, Bund oder Land. Leider wird die Axt in Brüssel aktuell eher bei Umweltstandards angesetzt als bei unnötigen Bürokratie-Vorgaben. Kommunen haben da tatsächlich weniger Handhabe. Sie können aber durch Nachfrage und langfristige sichere Abnahmeverträge die Betriebe vor Ort unterstützen, wenn sie beispielsweise kommunale Einrichtungen wie Kantinen und Kindergärten mit regionalen Produkten beliefern lassen. Denn vom Einzelhandel werden Landwirte teils auf frischen Waren sitzen gelassen, die schnell verderben. Faire und verlässliche Abnahmeverträge könnten da helfen.

Können Kommunen auch selbst die Agrarwende gestalten?

Vor allem in ländlichen Regionen sind Kommunen oft Eigentümer von Flächen, die an Landwirt*innen verpachtet werden. In den Pachtverträgen können sie Vorgaben machen – etwa, dass die Flächen ökologisch und ohne Einsatz von Pestiziden bewirtschaftet werden sollen. Per Beschluss im Gemeinderat können sie sich auch zu pestizidfreien Kommunen erklären und auf öffentlichen Flächen auf Alternativen wie Heißwasser setzen, um unerwünschte Pflanzen zu entfernen.

Wo gibt es den dringendsten Handlungsbedarf?

Die Biodiversitätskrise, also der Verlust der Artenvielfalt, ist eine der dringlichsten Krisen. Auf landwirtschaftlichen Flächen sind die Probleme durch die intensive Nutzung, Pestizide und fehlende Landschaftsstrukturen besonders groß. Deswegen sollten Kommunen ihren Handlungsspielraum auf verpachteten Agrarflächen, die ihnen gehören, nutzen – etwa durch Vorgaben zur Pestizidreduktion oder für sogenannte Refugialflächen. Das sind Rückzugsflächen für Tiere und Pflanzen. Die Lage ist so dramatisch, dass man auf allen Ebenen dringend handeln muss.

Ist Ernährungssicherheit nicht wichtiger als Naturschutz?

Dieser Vergleich führt völlig auf den falschen Dampfer. Der Schutz der Umwelt und der Artenvielfalt ist gelebte Ernährungssicherheit. Denn ohne gesunde Böden und eine intakte Natur wächst nichts mehr. Kurzfristig kann man zwar durch intensive Landwirtschaft mehr aus dem Acker rausholen, aber langfristig nicht.

Welche Maßnahmen können auch Kommunen mit klammen Kassen und knappem Personal unkompliziert umsetzen?

Eine langfristige Maßnahme sind günstigere Pachtverträge für eine extensive, also schonende, Bewirtschaftung von Grünland. Mit dem Verpachten dieser Flächen verdienen sich Kommunen ohnehin keine goldene Nase.

Gibt es Kommunen, die ihre Landwirt*innen besonders vorbildlich unterstützen?

Münstertal im Schwarzwald geht einen innovativen Weg: Dort fließt ein Teil der touristischen Kurtaxe in die Landwirtschaft, um die lokalen Betriebe zu unterstützen. Denn sie kümmern sich um die Pflege der Kulturlandschaft, wegen der die Tourist*innen erst in die Gegend kommen. Ohne die Arbeit der Landwirt*innen würde sie mit all ihrem Artenreichtum verloren gehen.

 

Hintergrund: Agrarwende, Anerkennung und Bürokratieabbau

Es gibt unterschiedliche Definitionen für den Begriff Agrarwende. Aus Sicht des BUND Baden-Württemberg ist damit die Abkehr von zunehmender Industrialisierung und Konzentrierung in der Landwirtschaft gemeint. Stattdessen sollen vor allem kleine und mittlere Betriebe erhalten werden und so wirtschaften können, dass die Biodiversität nicht geschädigt wird. Dafür ist es nötig, dass Landwirt*innen für Leistungen zum Schutz der Biodiversität auch angemessen bezahlt werden – beispielsweise für die Pflege von Wiesen zum Erhalt offener Kulturlandschaften.

Der Großteil bürokratischer Vorgaben für die Landwirtschaft kommt von der Europäischen Union sowie der Bundes- und Landespolitik. Aktuell werden dort als Reaktion auf die Proteste der Landwirt*innen vor allem Auflagen und Standards, die dem Schutz der Umwelt dienen, gestrichen. Der BUND befürwortet den Abbau überflüssiger Bürokratie, jedoch nicht zulasten von Umweltstandards. Stattdessen müssen Antrags- und Verwaltungsverfahren einfacher und digitaler werden sowie Betriebe wieder mehr Planungssicherheit bekommen.

 

Kontakt für Rückfragen:

  • Christoph Schramm, Referent für Landwirtschaft und Wald beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg e.V., 0711 620306-12, christoph.schramm(at)bund.net
  • Ansprechpartner in Ihrer Region: Wir vermitteln gerne Ansprechpartner, die sich speziell zur Agrarwende in Ihrer Region äußern können.

 

Mehr Informationen:

  • Ein Pressebild von Christoph Schramm finden Sie hier. Das Bild kann unter Angabe des Fotografen (Frank Müller/BUND BW) im Zusammenhang mit der Berichterstattung kostenlos verwendet werden.
  • Webseite des BUND Baden-Württemberg zu Landwirtschaft
  • Webseite des BUND Baden-Württemberg zur Kommunalwahl

 

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