Am 9. Juni 2024 ist Kommunalwahl. Sie ist entscheidend für den Umwelt- und Naturschutz. Die gewählten Vertreter*innen können in den kommenden fünf Jahren viele Weichen stellen – etwa beim Flächenschutz: Kommunen sind hier der Dreh und Angelpunkt. Sie weisen Wohn- und Gewerbegebiete aus und sind für die Entwicklung der Innenstädte verantwortlich. Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND Baden-Württemberg, verfolgt die Diskussion seit Jahren. Ein Gespräch über den Traum vom Einfamilienhaus, Beton und Asphalt:
Warum ist Flächenschutz in Baden-Württemberg nötig? Wir haben doch noch unbebaute Wiesen und Felder, oder nicht?
Sylvia Pilarsky-Grosch: Und die werden immer weniger. Was wir vor allem zu wenig haben, sind große, unzerschnittene Flächen, wie zum Beispiel der Truppenübungsplatz bei Münsingen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Dabei brauchen wir diese dringend, damit Tiere genug Nahrung und einen Partner finden.
Gleichzeitig brauchen wir Wohnraum. Wie sollen Kommunen das unter einen Hut bekommen?
Die Kommunen, die wirklich zu wenig Wohnraum haben, sind große Städte. Die gehen aber meist schon sehr vorsichtig mit ihren Flächen um. Wenn sie Neubaugebiete ausweisen, dann mit Mehrfamilienhäusern. Das Problem sind die kleinen Gemeinden in der baden-württembergischen Pampa. Die haben eigentlich nicht zu wenig Wohnraum, versuchen aber junge Familien mit billigen Grundstücken anzulocken. Dabei wird außer Acht gelassen, dass sogenannte Donut-Städte entstehen: Die Innenstädte veröden und außen werden jede Menge neue Häuser auf der grünen Wiese gebaut.
Viele junge Familien träumen aber vom eigenen Haus. Sollen sie darauf verzichten?
Nein, es braucht einen Generationenwechsel in den älteren Einfamilienhäusern. Viele ältere Menschen leben allein in großen Häusern. Für die müssten altersgerechte Alternativen vor Ort geschaffen werden, so dass Einfamilienhäuser frei werden. Förderprogramme könnten helfen, diese Häuser zu renovieren und für junge Familien attraktiv zu machen. Es geht also nicht darum, auf den Traum vom Einfamilienhaus zu verzichten, sondern ihn auf neue Weise zu verwirklichen.
Was habe ich als Privatperson davon, wenn Flächen geschützt werden?
Der Schutz von Flächen hat direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität, das Klima und den Hochwasserschutz vor Ort. Für letzteres braucht es unversiegelte Böden, die Wasser aufnehmen können. Wenn alles zugebaut ist, wird aus einer Straße schnell ein reißender Fluss.
Aber wird durch Innenentwicklung und Nachverdichtung nicht auch alles zugebaut?
Nein, es geht bei der Innenentwicklung eben nicht darum, einfach alles zuzubetonieren und überall noch ein Stockwerk drauf zu setzen. Es geht darum, Viertel attraktiv zu gestalten, so dass die Leute dort wohnen wollen. Ein Trend sind zum Beispiel Quartiere mit Mehrfamilienhäusern und einer gemeinsamen Grünfläche in der Mitte. Wichtig ist auch, sich um die vielen Leerstände zu kümmern. Das ist Job der Kommune.
Der BUND hat mit anderen Organisationen den Volksantrag „Ländle leben lassen“ für Flächenschutz ins Leben gerufen. Was erwarten Sie sich davon auf kommunaler Ebene?
Ich erwarte mir, dass die Landesregierung endlich reagiert und schärfere Vorgaben zum Flächensparen macht. Im Moment kriegen Kommunen alle möglichen Ausnahmen genehmigt. Das geht so nicht weiter.
Flächensparen ist schon länger ein Ziel der Landesregierung. Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung?
Leider nicht positiv. Ich sehe das Hauptproblem darin, dass in Baden-Württemberg eine massive Sorge vor wirtschaftlicher Stagnation herrscht, die meiner Meinung nach unbegründet ist. Diese Sorge beeinflusst aber stark die Ansiedlungsstrategie: Kommunen versprechen Unternehmen alles Mögliche, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sie Gewerbe- oder Industriegebiete sinnvoll entwickeln können. Das führt beispielsweise dazu, dass freie Flächen für große Parkplätze geopfert werden, anstatt platzsparende Parkhäuser zu bauen. Es braucht ein Umdenken, sonst sehe ich wenig Hoffnung am Horizont.
Hintergrund Volksantrag:
Der Volksantrag "Ländle leben lassen" ist eine Initiative von über 20 Naturschutz- und Bauernverbänden in Baden-Württemberg, die den Flächenfraß im Land bekämpfen will. Sie fordert von der Landesregierung verbindliche gesetzliche Obergrenzen für den Flächenverbrauch und die Förderung von Maßnahmen zur städtebaulichen Innenentwicklung. Mit über 53.000 Unterschriften hat der Volksantrag das erforderliche Quorum erreicht, wodurch der Landtag nun verpflichtet ist, sich mit den Anliegen intensiv auseinanderzusetzen.
Kontakt für Rückfragen:
- Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg e. V., Sylvia.Pilarsky-Grosch(at)bund.net
- Ansprechpartner in Ihrer Region: Wir vermitteln gerne Ansprechpartner, die sich zu Flächenschutz in Ihrer Region äußern können.
Mehr Informationen:
- Pressebilder von Sylvia Pilarsky-Grosch finden Sie hier. Die Bilder können unter Angabe des Fotografen (Frank Müller/BUND BW) im Zusammenhang mit der Berichterstattung kostenlos verwendet werden.
- BUND-Webseite zum Flächenschutz
- Kampagnenseite Volksantrag Ländle leben lassen
- BUND-Webseite zu Kommunalwahl
Mehr aus unserer Reihe zur Kommunalwahl:
- Mobilitätspass (KW 17)
- Biodiversität (KW 18)
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- Agrarwende in der Kommune (KW 20)
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