Am 9. Juni 2024 ist Kommunalwahl. Sie ist entscheidend für den Umwelt- und Naturschutz. Die gewählten Vertreter*innen können in den kommenden fünf Jahren viele Weichen stellen - etwa für den Erhalt unserer biologischen Vielfalt. Denn für die Biodiversität vor Ort haben die 1.101 Gemeinden im Land eine große Verantwortung, betont Lilith Stelzner, Naturschutzreferentin des BUND Baden-Württemberg. Ein Gespräch über den Wert der Natur und welche Bedeutung die Kommunalwahl für sie hat:
Unterbringung Geflüchteter, Kinderbetreuung, Fachkräftemangel – viele Kommunen ächzen bereits jetzt unter den zahlreichen Belastungen. Wie sollen sie sich da auch noch um den Natur- und Artenschutz kümmern?
Lilith Stelzner: Die Kommunen haben zweifellos viele Aufgaben, die sie bewältigen müssen. Allerdings ist es schwer verständlich, dass gerade der Erhalt unserer Lebensgrundlagen kaum Priorität hat. Denn darum geht es bei Aufgaben wie Arten-, Natur- oder Klimaschutz schließlich. Außerdem ist es wenig vorausschauend: Wenn wir jetzt nicht genug tun, werden die Belastungen später nur noch größer. Die Reparatur von Schäden oder die Wiederherstellung der Natur ist deutlich teurer und aufwändiger als der Erhalt.
Manche Gemeinderäte sehen im Natur- und Artenschutz einen Bremsklotz für die kommunale Entwicklung. Stimmt das?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Diese Haltung beruht auf einem veralteten Verständnis von „Entwicklung“ und einem Anspruchsdenken, das den Schwund der Lebensräume ignoriert wie auch den Wert der Natur für uns Menschen verkennt. Die Gesetze und Auflagen, die sie schützen, dienen ja letztlich dem Wohl der Menschen, wie andere Auflagen, etwa im Lärmschutz, auch. Zu einer attraktiven Wohngemeinde gehören Grünflächen, Bäume, Wiesen. Wer sie zubetoniert, mindert langfristig die Lebensqualität. Denn sie sorgen für bessere Luft, Naturerlebnisse und Kühlung an heißen Tagen und lassen sich nicht schnell ersetzen.
Was können Kommunen konkret für die Biodiversität vor der Haustüre tun?
Es gibt viele kleine oder große Möglichkeiten, um aktiv zu werden. Kommunen können zum Beispiel Grünflächen ohne Pestizide pflegen und insektenschonend mähen, nachts für einige Stunden die öffentliche Beleuchtung ausschalten, um nachtaktiven Insekten und Fledermäusen zu helfen, Amphibiengewässer sanieren, Streuobstwiesen erhalten oder konsequent gegen neue Schottergärten vorgehen. Hilfreich ist auch ein Blick ins Biodiversitätsstärkungsgesetz (BioDivG) des Landes. Dort finden sich viele Vorgaben für mehr Natur- und Artenvielfalt. Kommunen sollten dabei ruhig mutig sein und mehr als die gesetzlichen Mindestvorgaben erfüllen. Die Bürger*innen werden die Maßnahmen bald sehr zu schätzen wissen!
Wo gibt es den dringendsten Handlungsbedarf?
Aus fachlicher Sicht ist die Umsetzung des Biotopverbunds am dringendsten. Denn nur durch vernetzte lebendige Landschaften können wir unsere biologische Vielfalt langfristig erhalten. Alle Kommunen im Land müssen Biotopverbundpläne erstellen. Dafür gibt es auch Unterstützung vom Land: Biotopverbundbotschafter*innen in den Landschaftserhaltungsverbänden beraten Kommunen bei der Planung und unterstützen bei der Antragstellung. Auch finanziell wird die Planung und Umsetzung vom Land bezuschusst. Wichtig ist, dass der Plan nicht in einer Schublade verstaubt, sondern zügig in die Tat umgesetzt wird! Dringend notwendig ist es auch, die so genannte „Eingriffsregelung“ endlich ernst zu nehmen. Das bedeutet Eingriffe in die Natur zu vermeiden und wenn das nicht möglich ist, Maßnahmen zur Kompensierung zu ergreifen. Wir sehen leider häufig, dass diese nur zum Teil umgesetzt oder langfristig erhalten werden. Wird eine Streuobstwiese etwa einem Baugebiet geopfert, muss an anderer Stelle vorrangig eine neue angelegt werden, um den Verlust auszugleichen. Aber oft gerät sie nach einiger Zeit in Vergessenheit, wird nicht entsprechend gepflegt und so nie zu einem gleichwertigen Ersatz für den verlorenen Lebensraum.
Welche Bedeutung kommt Kommunen beim Natur- und Artenschutz zu?
Eine sehr große Bedeutung. Denn die Vorgaben müssen praktisch vor Ort umgesetzt werden – das geht nur in den Kommunen. Außerdem haben sie Vorbildcharakter für die Einwohner*innen – etwa bei der Reduzierung von Lichtverschmutzung oder naturnahen Grünflächen mit Wildblumen. Der Biotopverbund funktioniert als Netzwerk ebenfalls nur, wenn alle mitmachen. Kommunen sollten Natur- und Artenschutz auch als Chance sehen, ihre regionalen Besonderheiten als einzigartige Schätze zu bewahren.
Hintergrund: Biodiversität, Biodiversitätsstärkungsgesetz und Biotopverbund
Unter Biodiversität versteht man die gesamte biologische Vielfalt in der Natur. Dabei unterscheidet man drei Ebenen: die Vielfalt der Arten insgesamt, die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme wie etwa Moore, Wälder oder Wiesen. Das Biodiversitätsstärkungsgesetz ist am 31. Juli 2020 in Kraft getreten – angestoßen durch das Volksbegehren „Rettet die Bienen“, an dem sich auch der BUND Baden-Württemberg beteiligte. Wichtige Punkte des Gesetzes sind etwa der Aufbau eines landesweiten Biotopverbunds auf 15 Prozent der Landesfläche bis 2030, der Erhalt von Streuobstbeständen, ein Verbot von Schottergärten auf Privatgrundstücken oder die Minimierung der Lichtverschmutzung.
Der Biotopverbund soll ein grünes Netzwerk aus verbundenen Lebensräumen schaffen. Dabei gibt es Kernbereiche mit wertvollen Schutzgebieten, die über sogenannte Trittsteine miteinander verbunden werden. Das soll Tieren wieder ermöglichen zu wandern, sich auszubreiten und genetisch auszutauschen.
Kontakt für Rückfragen:
- Lilith Stelzner, Naturschutzreferentin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg, lilith.stelzner(at)bund.net; 0711 620306-14
- Ansprechpartner in Ihrer Region: Wir vermitteln gerne Ansprechpartner, die sich speziell zu Biodiversität in Ihrer Region äußern können.
Mehr Informationen:
- Ein Pressebild von Lilith Stelzner finden Sie hier. Das Bild kann unter Angabe des Fotografen (Frank Müller/BUND BW) im Zusammenhang mit der Berichterstattung kostenlos verwendet werden.
- Webseite des BUND Baden-Württemberg zum Biotopverbund
- Webseite des BUND Baden-Württemberg zum Artenschutz
- Webseite des BUND Baden-Württemberg zum Naturschutz
- BUND-Webseite zu Kommunalwahl
Mehr aus unserer Reihe zur Kommunalwahl:
- Mobilitätspass (KW 17)
- Kommunale Wärmeplanung (KW 19)
- Agrarwende in der Kommune (KW 20)
- Flächenschutz in der Kommune (KW 21)
- Waldwirtschaft in der Kommune (KW 22)