Nach einem Brand in einem ehemaligen Mühlenbetrieb in hohenlohischen Krichberg ist giftiges Löschwasser in die Jagst geflossen. Bislang sind über vier Tonnen Fische verendet. Das Wasser könnte bis Ende der Woche in den Neckar fließen. Christine Fabricius, Naturschutzreferentin beim BUND Baden-Württemberg, erklärt die Auswirkungen des Chemieunfalls.
Wie ist der Unfall einzuordnen?
Es ist die größte Flusswasservergiftung in Baden-Württemberg seit Jahrzehnten, wahrscheinlich seit dem Chemieunfall 1986 bei Sandoz bei Basel, als auf 400 Kilometer Rheinlänge der Aalbestand ausgelöscht wurde.
Was war passiert?
Nach einem Brand in einer ehemaligen Mühle im hohenlohischen Kirchberg ist Löschwasser in die Jagst geflossen. Bei dem Feuerwehreinsatz mischte sich hochgiftiges Ammoniak aus Düngemitteln mit dem Löschwasser. Ammoniumnitrat wird häufig als Düngemittel verwendet.
Kommt die Giftblase bis in den Neckar?
Prognosen sind nicht ganz einfach. Bisher hat die Giftwelle 22 Kilometer in 90 Stunden zurückgelegt, also 500 Meter pro Stunde. Der Regen von Anfang der Woche hat den Niedrigwasserstand wohl etwas angehoben. Mit jedem Zufluss an Wasser in die Jagst dürfte das Gift schneller in den Neckar gelangen. Von Langenburg, wo die Giftwelle Dienstagmorgen angekommen ist, sind es noch rund 60 Kilometer bis zur Neckarmündung. Das bedeutet: Bei gleicher Fließgeschwindigkeit würde das Giftwasser in etwa einer Woche im Neckar ankommen. Aber wie gesagt: Es geht immer schneller. Also könnte die Giftwelle schon Ende der Woche den Neckar erreichen.
Welche Auswirkungen hat die Giftwelle für den Neckar?
Im Vergleich wird die Konzentration des Gift im Neckar wesentlich geringer sein und sich dort noch weiter verdünnen. Einmal weil die Wassermenge zunimmt und weil derzeit alles getan wird, was technisch möglich ist, um das Ammoniumnitrat zu „entschärfen“. Das Fischsterben wird im Neckar nicht so offensichtlich sein. Doch wird vermutlich die dortige Fischpopulation betroffen sein. Für die Bevölkerung ist der Unfall relativ gefahrenlos - trotzdem sollte man auf Angeln und Baden verzichten. Berührungen mit dem Wasser sollten bei Bootsfahrten vermieden werden.
Welche ökologischen Auswirkungen hat das für die Jagst?
Die Auswirkungen für die Jagst sind dramatisch. Das auf zig Kilometer Länge und für lange Zeit. Die aktuelle Niedrigwasser-Situation hat zu einer sehr hohen Giftkonzentration geführt. Die Fischfauna ist ab dem Unfallort in Kirchberg-Lobenhausen flussabwärts komplett zerstört. Die Regeneration zum Ausgangszustand wird Jahre dauern. Die Jagst ist bundesweit ein sehr wertvoller Fluss. Es leben dort gefährdete und besonders geschützte Aale, Barbe, Nase, Groppe oder Elritze. Auch Insekten, Flusskrebse und Muscheln, darunter die stark gefährdete Bachmuschel dürften schwer geschädigt sein und könnten stellenweise aussterben.
Ob die Fische und die anderen Flusstiere die Jagst von allein wieder besiedeln können, ist fraglich. Denn die zahlreichen Wehre verhindern den Aufstieg aus dem Unterlauf. Auch der Eisvogel, der erfolgreich in den Uferwänden der Jagst brütet, dürfte jetzt stark beeinträchtigt sein. In den toten Flussabschnitten kann er nun keine Fische mehr jagen. Es ist besonders tragisch, dass diese Umweltkatastrophe ausgerechnet die Jagst trifft: Sie war in einem vergleichsweise guten ökologischen Zustand. Nicht umsonst wurden zahlreiche Naturschutzgebiete und Natura 2000-Gebiete entlang der Jagst ausgewiesen. Durch den Giftunfall ist die Jagst jetzt auf Jahre entwertet.
Wie hätte der Unfall möglicherweise verhindert werden können?
Mineraldünger (in diesem Fall Quelle des Ammoniumnitrats) sowie auch Pestizide dürfen nicht in Gewässernähe gelagert werden. Schon gar nicht in der Nähe größerer Flüsse. Denn die Giftwelle lässt sich kaum aufhalten. Das zeigen die aktuellen Bemühungen zur Belüftung des Flusswassers und zum Abpumpen des vergifteten Wassers – je größer der Fluss, desto schwieriger.
Die Fragen stellte Samantha Maier, SWR Baden-Württemberg